Die Nationalmannschaft ist in ihrem Tief gefangen
Zum vierten Mal lässt das Schweizer Nationalteam in dieser Qualifikations-Kampagne nach Führung Punkte liegen. Die Spieler lassen den nötigen Einsatz vermissen, Trainer Murat Yakin wirkt überfordert.
«Unerklärlich» ist das Wort, das nach dem 1:1 gegen Israel auf der Schweizer Seite immer wieder fällt. Nach einer nicht überragenden, aber doch ansprechenden ersten Halbzeit verlor das Team von Murat Yakin völlig den Faden. Dem Nationaltrainer fällt es danach ebenfalls sichtlich schwer, Erklärungen für den neuerlichen Leistungsabfall nach der Pause zu finden. Viele seiner formulierten Gedankengänge sind unvollständig, verlaufen ins Nichts.
Was der Plan für die zweite Halbzeit gewesen sei, wird Yakin an der Pressekonferenz nach dem Spiel gefragt. Seine Antwort: «Das ist eine Mannschaft, die sehr gerne attraktiven Fussball spielt. Wir haben in der ersten Halbzeit gesehen, dass sehr gute Kombinationen im Spiel drin waren. Wir müssen nicht nur die Defensive ansprechen. Wir haben es verpasst, das zweite und dritte Tor zu erzielen. Die Chancen dafür wären da gewesen. Dass wir die Qualifikation noch nicht geschafft haben, ist eigenes Verschulden. Wir gehen nun über die volle Distanz und haben es in den eigenen Händen.»
Es ist klar, dass es Zeit braucht, um das Geschehene analysieren zu können. Klar ist ebenfalls, dass es nicht einfach ist, unmittelbar nach Spielschluss perfekte Repliken auf die teils angriffigen Fragen der Medienleute zu finden. Yakins Antwort zeigt die Plan- und Ratlosigkeit, die derzeit im Nationalteam herrscht, aber deutlich auf.
Panik in den Schlussminuten
Man könnte nun argumentieren, dass die Schweizer schlicht an ihre Grenzen gestossen sind. Dass das Team zwar manchmal glänzen kann, die Qualität aber insgesamt doch zu tief ist, um in einer solchen Gruppe durchzumarschieren. Oder anders formuliert: Vielleicht ist die Nationalmannschaft einfach nicht so gut, wie es sich viele denken respektive erhoffen.
Dagegen spricht, dass die Schweizer vorab zu Beginn der Partien zeigen, dass sie ihre Gegner dieser Gruppe dominieren können. In allen der bisher acht Qualifikationsspiele ging die Schweiz mit 1:0 in Führung, zeigte sich mindestens bis zur Pause spielbestimmend und hielt sich bis zur 60. Minute jeweils schadlos. Die bisher neun Gegentreffer – so viele hat das Team in einer Qualifikation seit der (missglückten) Kampagne für die EM 2012 nicht mehr erhalten – fielen allesamt in der Schlusshalbstunde. Es ist die Zeit, in der gestandene Leistungsträger wie Champions-League-Sieger Manuel Akanji plötzlich wie ausgetauscht wirken und sämtliche Souveränität verlieren.
Auf dem Blatt müsste das Nationalteam über die nötige Qualität verfügen, Gegner wie Rumänien, Kosovo, Belarus und nun auch Israel in Schach zu halten. Die Startelf vom Mittwoch bestand komplett aus Spielern der Top-5-Ligen Europas: je vier sind in der deutschen Bundesliga und der italienischen Serie A engagiert, zwei in der englischen Premiere League, einer in der französischen Ligue 1.
Es droht eine heisse Schlussphase
Wieso schafft es ein solches Team nicht, bis zum Schluss fokussiert zu bleiben?
Wieder landet man beim Wort «unerklärlich». Auf die Frage schüttelt Yakin an der Pressekonferenz leicht den Kopf, ehe er sich erneut in zusammenhangslosen Sätzen verliert. «Wir sind fit, kennen den Rhythmus, er ist uns nicht fremd. Man sieht, dass wir das Spiel gewinnen möchten. Aber in der zweiten Halbzeit stehen wir zu weit vom Gegner entfernt. Kein Vorwurf an das Engagement oder den Willen der Spieler. Absolut nicht. Wir haben gewusst, dass der Gegner Fussball spielen kann, dass er offensiv gute Qualitäten hat, dass er frisch war heute. Es waren doch sieben, acht neue Spieler auf dem Platz. Was uns einst stark gemacht hat in der Defensive, konnten wir in den letzten Spielen nicht mehr zeigen. Vielleicht müssen wir so ein Spiel auch mal 1:0 über die Runden bringen, den Sack zumachen. Das werden wir analysieren. Positiv ist, dass wir es in den eigenen Händen haben.»
Es wäre dem 49-Jährigen, der kürzlich seine Mutter verloren hat, zu gönnen gewesen, hätte sein Team die 1:0-Führung gegen Israel über die Zeit gebracht und sich das EM-Ticket gesichert. Yakin wäre zumindest zwischenzeitlich aus der Schusslinie gewesen, und die Schweizer hätten die letzten beiden Partien der Qualifikation befreit angehen können.
So aber droht der Nationalmannschaft eine heisse Schlussphase. Verpasst sie am Samstag in Basel den Sieg gegen Kosovo und gewinnt Israel gegen Rumänien, käme es zum Showdown in Bukarest (Israel trifft zum Abschluss auf Andorra). Ob die Schweizer, die sich in den letzten Monaten völlig verunsichert präsentierten, diesen Test bestehen würden, ist mehr als offen.