Das Verbot von Fluor zur Skipräparation sprengt die Felder
Der Fluor-Bann zur Präparation der Ski begünstigt auf den schmalen Latten die Besten. Im Langlauf oder im Biathlon dürften die Dominanten noch dominanter auftreten.
«Mit einem guten Motor kann man jetzt noch mehr heraus holen», prognostiziert Lars Brönnimann, der Chef Langlauf bei Swiss-Ski zum Start des Weltcupwinters in Kuusamo. «Wer die Geschwindigkeit im Langlauf dank höherer Schrittfrequenz statt über die Gleitphase macht, der hat einen Vorteil». Jetzt sei noch mehr Ausdauer und Kraft in Armen sowie im Rumpf gefragt und nicht der filigrane Techniker, der dahin schwebe, so der Berner.
Der Grund für diese Annahme ist einleuchtend. Die gefährlichen Fluor-Verbindungen, die durch ihre wasserabweisende Wirkung die Ski schneller machen, dürfen ab diesem Winter nicht mehr eingesetzt werden. Die FIS (Internationaler Skiverband) und die IBU (Internationale Biathlon-Union) verbieten es, das umweltschädliche und potenziell krebserregende Fluor auf die Ski aufzutragen. Ab diesem Winter setzen die Verbände damit ein Gesetz der Europäischen Union um.
Bei feuchtem Schnee – und die Mehrheit der Wettkämpfe findet bei diesen Verhältnissen statt – hat die Industrie noch nicht annähernd etwas gefunden, das es mit den Fluor-Wachsen aufnehmen könnte. «Jetzt wird die Strafrunde effektiv zur Strafrunde», sagt Lukas Keel, Chef Biathlon von Swiss-Ski. Kraft und Kondition würden, weil der Widerstand der Ski höher sei, für eine Top-Leistung verstärkt ins Gewicht fallen.
«Die Athletinnen und Athleten spüren den Unterschied. Ohne Fluor gleitet der Ski nicht gleich leicht», betont Ivan Hudac, der einstige Trainer von Dario Cologna und jetzige Coach von Nadine Fähndrich. Der Slowake meint, unter vergleichbaren Bedingungen dürften die Männer für einen Fünfziger rund sieben Minuten länger haben. Je nasser der Schnee, desto grösser die Zeitunterschiede zu früher.
Wahl des Materials noch wichtiger
Der Fluor-Bann wird die Felder gleich aus drei Gründen stärker teilen als in der Vergangenheit. Neben den physischen Fähigkeiten, die im Langlauf nun noch mehr zum Vorschein kommen, wird es bei der Skipräparation mehr Fehlgriffe geben, und als dritter Teilbereich selektionieren die personellen und finanziellen Ressourcen einer Equipe.
Zur Präparation der Ski: Die mit Fluor versetzten Wachse, die Feuchtigkeit, Schmutz und Fett auch bei nassen Bedingungen abperlen lassen, konnten den schlechten Ski oder eine schlechte Struktur des Belags besser ausgleichen als die neuen Produkte. «Fehlgriffe beim Ski und der Skipräparation werden nun härter bestraft als früher», betont Brönnimann. Oder anders ausgedrückt. Der richtige Wahl des Ski und der richtige Schliff werden entscheidender sein. Da die Besten von den Ausrüstern auch die besten Ski erhalten, dürfte dies die Leistungsunterschiede nochmals vergrössern.
Utopie Chancengleichheit
Das Fluor-Verbot hätte eigentlich nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch die Chancengleichheit erhöhen sollen. Die FIS testete vergangenen März in Tallinn ein neues Format der Skipräparation. Jede Nation musste denselben Wachs verwenden. Zudem durften pro Athletin und Athlet nur zwei Paar Ski zubereitet werden. Oder das Testen auf der Strecke war verboten.
Diese Ideen bewähren sich in der Praxis (noch) nicht. «Der Fluor-Bann hat keine Auswirkungen auf die Kostenreduktion und die Chancengleichheit. Im Gegenteil», sagt Brönnimann. Denn seit mehreren Jahren wird an fluorfreien Skibelägen geforscht. Finanzkräftige Nationen haben somit zu Beginn einen Vorteil. Auch Swiss-Ski dürfte mit dem Technologiezentrum in Altstätten gut aufgestellt sein, sagen die Experten. Kleine Verbände hingegen können sich keine hochkomplexe chemische Detailforschung leisten. «Und statt an den Renntagen wird jetzt im Vorfeld mehr getestet», fügt Brönnimann an.
Rennski schnell zu machen, ist eine Wissenschaft für sich. Mit dem Verbot von Fluor beginnen die Service-Crews wieder bei null, denn auf alte Daten aus den Vorjahren kann nicht mehr zurückgegriffen werden. Selbstredend haben grosse Nationen mit grossen personellen Ressourcen bei einem Neuanfang einen Vorteil, weil der Neuanfang Geld kostet. So hat auch das Schweizer Biathlon-Team den Servicebereich ausgebaut statt reduziert.