Ein Auf und Ab der Gefühle beim Weltmeister
Tadej Pogacar tritt als Favorit an und lässt sich ins WM-Trikot einkleiden. Selbst ein taktischer Fehler bremst ihn nicht aus, bringt aber seine Gefühlslage während und nach dem Rennen ins Wanken.
«Es war eine dumme Attacke. Aber nun ist sie es nicht mehr», sagte der Slowene an der Medienkonferenz, nachdem er zwei Stunden zuvor am Zürcher Seebecken noch ungläubig die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und sich dann auslassend jubelnd selbst als Weltmeister feierte. Die scheinbar irrwitzige Attacke 100 km vor dem Ziel zwang ihn letztlich zu seiner Solo-Fahrt, die ein Happy-End fand, dem Radprofi aber viele Emotionen und die letzten Kräfte abverlangte. «Zum Schluss habe ich nur noch die Kilometer runtergezählt und darauf geachtet, nicht zu stark in den roten Bereich zu fallen.»
Gut zwei Stunden zuvor war er noch frisch und sorgte mit seinem Angriff für Kopfschütteln bei fast allen Experten. «Ich kann es nicht erklären. Es herrschte auch keine Panik. Ich war wohl im Flow. Wir hatten eigentlich geplant, das Rennen zu kontrollieren. Ich weiss nicht, was ich gedacht habe», beschrieb der 26-Jährige den Moment, als er in Witikon aus dem Feld der Verfolger ausriss und ohne seine härtesten Widersacher zur Spitzengruppe aufschloss. Er habe sich in eine Rennsituation gebracht, die er so nicht wollte. Und in eine Gefühlslage, die schwankte. «Einerseits wusste ich immer, dass ich eine Chance habe. Andererseits war ich mir bis zum Schluss nicht sicher, ob es zum Sieg reichen wird», betonte der dreifache Sieger der Tour de France, der inzwischen auch bei harten Eintagesrennen die Nummer 1 ist.
Gefühlsfahrt mit dem Rollercoaster
Auch im Ziel stoppte die «Gefühlsfahrt mit dem Rollercoaster», wie es Pogacar ausdrückte, nicht. Sichtlich erschöpft und erleichtert fiel er zunächst seiner Freundin Urska Zigart in die Arme. Auch beim Medienmarathon danach hatte er zeitweise Mühe, die Emotionen unter Kontrolle zu halten.
Das Auf und Ab hatte auch mit dem Druck zu tun, den sich Pogacar selbst auferlegt hatte. Er war einzig für den Sieg angereist .«Ich habe schon seit Kindheit von diesem Jersey geträumt», erzählte er. «Heuer war meine Chance: Guter Parcours, ideale Vorbereitung, ein tolles Nationalteam. Ich musste es packen.» Er hat es geschafft und will das Weltmeister-Trikot noch heuer präsentieren. Mitte Oktober wird er drei Eintagesrennen in Italien fahren, zum Abschluss gilt er bei der Lombardei-Rundfahrt mehr denn je als Topfavorit. Den Klassiker hat er zuletzt dreimal in Serie für sich entschieden.
Während das Regenbogentrikot etwas Handfestes ist, existiert die «Triple Crown» nur in den Köpfen der Statistiker. Als erst dritter Fahrer nach Eddy Merckx (1974) und Stephen Roche (1987) darf er sich die sogenannte Dreifach-Krone aufsetzen. Für diesen inoffiziellen Titel muss man zwei grosse Landesrundfahrten und den WM-Titel im selben Jahr gewinnen. Pogacar hatte 2024 zuvor beim Giro d’Italia und der Tour de France triumphiert.
An der Pressekonferenz stellte ein Journalist diese Siege in die Reihe mit kulinarischer Köstlichkeiten wie Pizza, Wein und Käse sowie Schokolade und sprach den Slowenen auf seine Präferenzen an. Pogacar war zu müde, um auf solche Spielereien einzusteigen. Er beliess es beim Hinweis, dass er bei seinem Kalorienverbrauch diesen Versuchungen nicht ständig widerstehen müsse.
Auf den Tod von Muriel Furrer wurde er tiefgründiger. «Jeder denkt an Muriel und insbesondere an ihre Familie. Es ist eine Tragödie.» Auch die Rad und Para-Cycling-Strassen-WM in Zürich erlebte ein Auf und Ab der Gefühle.