Zwei Medaillen – aber nicht volle Zufriedenheit
Im WM-Riesenslalom verpasst Marco Odermatt die Titelverteidigung. Thomas Tumler und Loïc Meillard sichern sich Silber und Bronze. So richtig zufrieden ist am Ende nur einer.
Während der neue Weltmeister Raphael Haaser nur ungläubig den Kopf über das soeben Geschehene schüttelt und Loïc Meillard Platz 3 lächelnd zur Kenntnis nimmt, lässt Thomas Tumler seiner Freude freien Lauf. Wer mag es ihm verdenken, diesem Ruhepol, der 35 Jahre alt werden musste, ehe er seine grössten Erfolge im alpinen Skirennsport feiern durfte. «Ich habe schon immer etwas länger gebraucht, auch früher in der Schule», scherzte Tumler nach dem Rennen. «Aber nicht aufgeben zahlt sich aus.»
Dem Sieg im Riesenslalom in Beaver Creek im Dezember liess er Silber im Team-Wettkampf an der WM in Saalbach folgen. Und nun also die erste Einzelmedaille an einem Grossanlass. Zweiter, geschlagen nur von einem über sich hinausgewachsenen Haaser.
Dabei war der zweite Lauf von Tumler, mit dem er sich von Platz 6 auf 2 vorschob, alles andere als optimal. «Es war eine Fahrt auf der allerletzten Rille. Ich habe mir vor dem Start gesagt: Entweder ‘DNF’, im Netz oder auf dem Podium. Ich habe es erzwungen, bin so am Limit gefahren wie noch nie in dieser Saison», analysierte der Bündner aus Samnaun seine Fahrt. Mehrfach war Tumler kurz vor dem Ausscheiden. Er verstand es aber, das Tempo nie abzustechen, sondern stets aufrecht zu halten. «An der WM zählt nur die Medaille. Es gibt kein Taktieren. Ich bin mega happy, dass ich so riskiert und nie aufgegeben habe.»
Der Lohn für Leid und Schmerz
Es sind Worte, die Tumler für seinen zweiten Lauf wählt. Es sind aber auch Worte, die zu seiner Karriere passen. Immer wieder warfen den sensiblen Techniker Verletzungen zurück, immer wieder streikte der Rücken. So sehr, dass er mehrmals an ein Karriereende dachte.
Zum ersten Mal zieht Tumler im Januar 2017 einen Schlussstrich in Betracht, als er von Kitzbühel heimreist und sein Rücken derart schmerzt, dass er an einer Tankstelle nicht ohne fremde Hilfe aus dem Auto steigen kann. Im Dezember 2020 folgt ein Bandscheibenvorfall, der eine Operation nach sich zieht. Die Resultate leiden unter den körperlichen wie mentalen Blockaden. Zwischen 2016 und 2020 fährt er nur viermal in die ersten zehn. Eine Zukunft in den Kadern von Swiss-Ski ist fraglich.
«Ich weiss noch, es war vor drei Jahren, als ich bei den Schweizer Meisterschaften in St. Moritz vor Tom Stauffer auf die Knie gegangen bin und ihn um eine weitere Chance gebeten habe. Ich wusste, dass meine Karriere zu Ende ist, wenn ich nicht mehr bei Swiss-Ski bin.» Der Cheftrainer hatte Erbarmen. Und traf einen Entscheid, der nun in doppeltem Silber an der WM in Saalbach gipfelte.
«So blöd es tönt: Die Verletzungen haben mir gutgetan. Sie haben mich geerdet, mir gezeigt, dass ich Geduld haben muss und was für ein Privileg wir haben.» Er sei am Start des Riesenslaloms schon sehr dankbar gewesen, hier sein zu dürfen, gesund und in der Top-Gruppe. «Tief in mir habe ich schon von einer Medaille geträumt. Dass es nun tatsächlich so gekommen ist, ist unglaublich.»
Spiess umgedreht, Chance vergeben
Insgeheim von der Goldmedaille geträumt hat Loïc Meillard. Am Ende wurde es Bronze, obwohl Gold nach dem nicht optimalen Lauf von Dominator Marco Odermatt griffbereit gewesen wäre. In der Gewissheit, eine grosse Chance vergeben zu haben, sprach der Westschweizer nach dem Rennen von «ein bisschen Enttäuschung». Jammern auf hohem Niveau, mögen manche denken, schliesslich ist es für Meillard die zweite Medaille im zweiten WM-Rennen. Nur war da eben diese goldene Gelegenheit, aus dem Schatten von Odermatt zu treten.
Immerhin: Meillard hatte das Hundertstel-Glück für einmal auf seiner Seite und verwies Odermatt um sieben Hundertstel auf Platz 4 – wie 2021 beim Riesenslalom-Klassiker in Adelboden. Damals trennten die Teamkollegen gar nur zwei Hundertstel. In seither 33 Weltcup-Riesenslaloms, in denen beide am Start standen und ins Ziel kamen, war stets Odermatt der Schnellere der beiden. Eine für Meillard zermürbende Serie, die nun ihr Ende fand.
Odermatt seinerseits verpasste die erfolgreiche Titelverteidigung. Der Nidwaldner, der mit einer brillanten Fahrt Weltmeister im Super-G geworden war, zeigte wie schon in der Abfahrt irdische Züge und nicht wie so oft in den entscheiden Momenten sein bestes Skifahren. «Logisch ist heute die Enttäuschung noch da, aber alles in allem war es trotzdem eine erfolgreiche Weltmeisterschaft. Ich hätte das wahrscheinlich unterschrieben, wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich Saalbach als Weltmeister verlasse – und dann auch noch im Super-G, wo mir der Titel noch fehlte.»
Nur Haaser stand am Ende einem weiteren Schweizer Dreifacherfolg mit Thomas Tumler als Weltmeister im Weg. Das wäre dann wohl selbst dem Bündner zu kitschig gewesen.