Die philippinischen Curler stehen vor dem letzten Schritt
Sport
December 6, 2025

Die philippinischen Curler stehen vor dem letzten Schritt

Sie wollen die Nachfolger von Eddie the Eagle und der jamaikanischen Bobmannschaft werden: Die philippinischen Curler spielen ab Samstag um eines der letzten zwei Tickets für die Olympischen Spiele.

Enrico Pfister weiss noch genau, wie surreal es ihm vorkommt, als er im Frühjahr 2023 die Curlinghalle in Baden betritt. Er wird erstmals dem Mann begegnen, von dem er bisher nur gelesen hat: Dem Multimillionär, der als Quereinsteiger an die Olympischen Spiele möchte. Und dann sieht er Alan Frei auf dem Eis, mit Helm, um sich vor einem Sturz zu schützen. Pfisters erster Gedanke: «Das kann ja lustig werden.»

Und lustig wird es tatsächlich. Frei hat eine einnehmende Art und versprüht einen ansteckenden Enthusiasmus. Auf dem Eis wirkt er zwar unsicher, doch es könnte schlimmer sein, denkt Pfister. Dann sitzen sie zu viert zusammen und besprechen erstmals die Vision, die zu diesem Zeitpunkt kaum realisierbar scheint.

«An diesem Tisch war es», sagt Alan Frei und deutet nach links. Zweieinhalb Jahre sind seit der ersten Begegnung vergangen, und wieder versammeln sich die vier Curler im Restaurant der Badener Curlinghalle. Der vage Traum von damals hat inzwischen feste Form angenommen. Ein Turnier steht noch zwischen ihnen und der Olympia-Teilnahme. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erzählen Alan Frei (43), Christian Haller (46), Enrico Pfister (34) und Marc Pfister (36) von ihrem Weg, der sie bis nach Cortina führen soll.

Am Ursprung steht ein Gruppenchat

Während Frei bis 2023 nie einen Curlingstein berührt hat, stehen Haller und die Pfister-Brüder seit ihrer Kindheit auf dem Eis. Die Szene ist klein, man kennt sich. Aufgrund der gemeinsamen Wurzeln witzeln sie immer wieder darüber, dereinst ein «Team Philippinen» zu gründen und erstellen als Gag einen entsprechenden Gruppenchat. Erst als Haller durch einen Radiobeitrag von Freis Geschichte erfährt, wird aus dem Jux ein Plan.

Der Unternehmer wird 2020 mit dem Verkauf des Erotikshops Amorana reich. Körperlich fühlt er sich zu diesem Zeitpunkt jedoch schlecht, wiegt bei 1,72 Metern über 100 Kilogramm. Auf der Suche nach einer radikalen sportlichen Herausforderung setzt sich der Traum fest, für die Philippinen an Olympia teilzunehmen. Frei beginnt intensiv Langlauf zu trainieren, merkt jedoch bald, dass er «völlig talentfrei» ist.

Haller schreibt Frei eine Mail, später telefonieren sie. «Für Marc und Enrico war das mit dem ‘Team Philippinen’ eher ein Scherz, bei mir ist die Idee immer im Hinterkopf geblieben», sagt Haller, der 1999 Silber an der Junioren-WM gewann, sich danach aber auf seine Karriere im Bankenwesen fokussierte. Nun bietet sich dem Zürcher die Chance, Verpasstes nachzuholen.

Weiter mit vollem Arbeitspensum

Um seinen Mitstreitern zu beweisen, wie ernst es ihm ist, trainiert Frei mit einem Privattrainer und übernimmt sämtliche organisatorischen Aufgaben. Innert kurzer Zeit schafft es der Aargauer, dass alle die philippinischen Pässe erhalten, und treibt gleichzeitig die Aufnahme ins nationale Olympiakomitee voran. Weil das Vorhaben auf den Philippinen zunächst mehr Stirnrunzeln als Begeisterung auslöst, muss er mehrmals nachhaken. Erst am Tag vor der Anmeldefrist für die Olympia-Qualifikation erhält er das nötige Bestätigungsschreiben.

Nun sind auch Enrico und Marc Pfister vom Projekt überzeugt. Und das ist zentral, denn mit ihrer internationalen Erfahrung tragen sie das Team auf sportlicher Ebene. Zwischen 2015 und 2018 vertreten sie die Schweiz dreimal an Elite-Weltmeisterschaften. Nach der verpassten Olympia-Qualifikation 2018 steigen die Berner aus dem Spitzencurling aus und machen sich in der Baubranche selbstständig.

Nun könnte sich ihr Olympiatraum acht Jahre nach Pyeongchang doch noch erfüllen. Allerdings ist für sie von Beginn des Projekts an klar, dass sich beruflich nichts ändern wird. Haller und die Pfister-Brüder arbeiten weiterhin zu 100 Prozent. «Wir sind halt nicht mehr 20», sagt Marc Pfister, der Skip des Teams. «Früher hätten wir das Pensum wahrscheinlich reduzieren können, heute haben alle Geschäft und Familie.» Frei fokussiert sich als Einziger voll auf das Curling – weil er es kann und weil er es muss.

«Exoten» werden seltener

Dass es immer wieder Exoten an die Olympischen Spiele schaffen, ist bekannt. Inzwischen haben jedoch viele Verbände Hürden eingebaut, um dem entgegenzuwirken. Das philippinische Team muss zuerst die Pan-Continentals (die Meisterschaft für alle nicht-europäischen Länder), dann zwei Qualifikationsturniere überstehen.

Gleich beim ersten Wettkampf heisst es jedoch, die Teilnehmerplätze seien bereits belegt. Frei setzt das Team auf die Warteliste – und hat Glück: Durch den kurzfristigen Rückzug Kasachstans rücken die Philippinen nach. Es ist der Anfang einer eindrücklichen Reise. Sportlich steigert sich das Quartett kontinuierlich und gewinnt im Februar sogar Gold an den Asian Winter Games. Für den Inselstaat ist es der erste Medaillengewinn an diesem Wettbewerb. Für das Team hat er zwar keinen Einfluss auf die Olympia-Qualifikation, sendet aber ein starkes Signal.

Es entwickelt sich ein Hype um das ungewöhnliche Gespann. Medien aus aller Welt melden sich bei den Curlern, die inzwischen vom früheren Schweizer Nationaltrainer Bernhard Werthemann betreut werden. Er bereitet das Team auf die letzte grosse Hürde vor.

Acht Teams, zwei Tickets

Im kanadischen Kelowna messen sich die Philippinen mit den USA, China, Japan, Südkorea, den Niederlanden, Polen und Neuseeland. Nach einer Round Robin, in der alle Teams je einmal aufeinandertreffen, spielen die Top 3 in einem Playoff um die letzten beiden Olympia-Plätze. Angesichts der starken Konkurrenz sagt Christian Haller: «Wir brauchen die perfekte Woche.»

Frei, der mit intensivem Training und Ernährungsumstellung über 27 Kilogramm abgenommen hat, übernimmt dabei die Rolle des Ersatzspielers. Er macht Platz für den kanadisch-philippinischen Curler Brayden Carpenter, der erst in diesem Jahr zum Team gestossen ist. Ein schwieriger Entscheid, doch weil das Team den Winterspielen plötzlich so nahe ist, wird dem Traum alles untergeordnet.

Denn auf die Frage, ob sie es bei einem Nicht-Erfolg 2030 erneut versuchen würden, folgt zwar kein klares Nein, aber allgemeines Kopfschütteln. Es war für alle eine spannende, aber auch intensive Zeit. Danach wird es für sie «zurück in die Normalität» gehen. «Wir geben nochmals alles», sagt Enrico Pfister. «Und wenn es nicht klappt, hatten wir wenigstens einen unglaublichen Weg zusammen.» Einen, den er sich zweieinhalb Jahre zuvor nie erträumt hätte.