Stefan Küngs ungebrochene Ambitionen auf den grossen Coup
Stefan Küng sehnt sich seit langem nach einem Triumph bei einem grossen Pavé-Klassiker. Für 2025 wählte der Thurgauer Radprofi einen neuen Trainingsansatz, um dieses grosse Ziel zu erreichen.
Stefan Küng gehört seit Jahren zu den etablierten Fahrern in den grossen Eintagesrennen. Seit 2022 erzielte der Zeitfahr- und Klassikerspezialist insgesamt fünf Top-Ten-Platzierungen bei der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix. Ein Sieg bei einem der Monumente des Radsports blieb ihm jedoch verwehrt.
Mit ein Grund ist die Dominanz der grossen Stars, die nur schwer bezwingbar sind. In Zahlen: In 11 von 15 Fällen hiess der Sieger zuletzt Mathieu van der Poel oder Tadej Pogacar. Weitere zwei Siege gingen auf das Konto von Remco Evenepoel. Nur zweimal setzte sich mit Dylan van Baarle und Jasper Philipsen nicht einer der Topfavoriten durch.
«Die Konkurrenz kannst du dir nicht aussuchen», meint Stefan Küng im Gespräch mit Keystone-SDA, angesprochen auf die dominierenden Figuren dieser Radsport-Generation. Er zieht den Vergleich mit dem Skisport. «Gegen einen Marco Odermatt ist es auch schwierig, anzukommen.» Dennoch sieht er es als Ansporn, sich kontinuierlich zu verbessern und nach neuen Wegen zu suchen, um konkurrenzfähig zu bleiben. «Du musst es akzeptieren können, wenn jemand stärker ist.»
Es gilt, bereit zu sein
Die Hoffnungen auf den langersehnten Coup hat der Profi vom französischen Team FDJ noch nicht aufgegeben. Doch er ist sich sicher: «Du kannst das Glück nicht erzwingen. Du musst cool bleiben, und wenn sich die Chance bietet, musst du bereit sein und zupacken.»
Um die Topfavoriten zu schlagen, braucht es vor allem auch ein gutes taktisches Gespür. Man muss ihre Attacken antizipieren, wissen, wann es sich lohnt, eine Tempoverschärfung mitzugehen und wann nicht. Denn die Gefahr besteht, dass man für zu viele Efforts am Ende des Rennens büsst.
«Um zu gewinnen, darf man keine Angst haben vor dem Verlieren», sagt Küng. Der mehrfache WM-Medaillengewinner sieht genau darin jedoch ein Problem. Der Grund ist der Druck, dem die Teams ausgeliefert sind, genügend Punkte sammeln zu müssen, damit sie ihren World-Tour-Status behalten können.
Ein Dilemma
Die Teams stecken in einer Zwickmühle: «Einerseits wollen sie, dass du Rennen gewinnst, andererseits, dass du möglichst viele Punkte holst», erklärt Küng. «Man überlegt sich als Fahrer deshalb genau, ob man All-in gehen will, mit dem Risiko, am Ende mit leeren Händen dazustehen.» Der Schweizer spricht eine Situation beim belgischen Eintagesrennen E3 Classic von vergangener Woche an, als es für ihn darum ging, die Verfolgung der kleinen Spitzengruppe um den späteren Sieger Mathieu van der Poel zu organisieren. «Jeder hatte Angst, abgehängt zu werden, deshalb hatten die vorne leichtes Spiel.»
Küng wurde am Ende Sechster. Für das Team ein gutes Resultat, für ihn selbst «ein weiteres Top-Ten-Ergebnis», aber nicht das, wonach er strebt. Er ist sich sicher: «Es wird heute defensiver gefahren. Das spielt letztlich auch einem Van der Poel oder Pogacar in die Karten», stellt er fest.
Hartnäckige Erkältung
16 Renntage hat Küng 2025 in den Beinen, bevor am nächsten Sonntag mit der Flandern-Rundfahrt und eine Woche später mit Paris-Roubaix die Classiques-Saison ihren Höhepunkt erreicht. Die Vorbereitung verlief nicht ganz ohne Nebengeräusche. Nachdem Küng im Winter ohne gesundheitliche Probleme durch die Vorbereitung gekommen war, setzte ihm Mitte März nach dem Etappenrennen Paris-Nizza eine hartnäckige Erkältung zu. «Ich war krank, deshalb haben wir uns auch gegen eine Teilnahme bei Mailand-Sanremo entschieden.»
Seine Leistung bei der E3 Classic stimmt ihn jedoch zuversichtlich. «Das gab mir Selbstvertrauen, wie auch mein Auftritt bei Omloop Het Nieuwsblad.» Beim Auftakt in die Klassiker-Saison 2025 setzte sich Küng Anfang März in der Schlussphase als Solist in Szene und wurde erst rund 1 km vor dem Ziel vom heranstürmenden Verfolgerfeld gestellt. «So nahe am Sieg war ich noch nie bei einem (Halb-)Klassiker.»
Tage der Wahrheit
Küng blickt auf ein durchzogenes letztes Jahr zurück. Nach einer starken Klassiker-Saison war es ihm bei den grossen Saison-Höhepunkten, den Olympischen Spielen und der Heim-WM in Zürich, nicht gelungen, sein Potenzial abzurufen. Gleich alles über den Haufen werfen wollte Küng deswegen nicht, schliesslich war ihm im Schlusszeitfahren an der Vuelta auch seiner erster Etappensieg an einer Grand Tour gelungen. Gleichwohl wollte er etwas verändern.
So vertraut Küng nach sechs Jahren ab dieser Saison auf einen neuen Trainer. Dies wirkte sich auch auf seine Trainingsgestaltung aus. «Wir legten in der Vorbereitung mehr Wert auf kurze Efforts. Aufs Zeitfahr-Training verzichteten wir jedoch komplett.» Küng ist selbst gespannt, ob diese Änderungen den erhofften Mehrwert bringen. «Ob es aufgeht, werden die grossen Klassiker zeigen.» Er selbst jedenfalls ist bereit, alles auf eine Karte zu setzen.